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Selbstporträts als kollektive Praxis – über das Eigene im Dialog mit der Welt

Fotografie wird oft als individueller Ausdruck verstanden. Besonders das Selbstporträt scheint auf den ersten Blick ein zutiefst persönlicher, vielleicht sogar egozentrischer Akt zu sein. Doch in Wahrheit ist auch das Selbstporträt immer Teil eines größeren Gefüges – eingebettet in gesellschaftliche Kontexte, geprägt von kollektiven Sehgewohnheiten und geteilten Bedeutungsräumen.
Fotografie ist nie ein isolierter Moment. Sie entsteht im Spannungsfeld zwischen Technik, Subjektivität und sozialem Raum. Auch wenn ich mich selbst porträtiere, bin ich nicht allein: Der Blick, mit dem ich mich betrachte – oder zeigen möchte – ist beeinflusst durch kulturelle Normen, durch Medienbilder, durch das, was gesellschaftlich als „zeigbar“ oder „authentisch“ gilt. Die Kamera mag Werkzeug sein, aber sie ist nie neutral. Sie übersetzt nicht nur mein Bild von mir – sie formt es mit.
So verstanden wird auch das Selbstporträt zum kollektiven Prozess. Es verhandelt Identität nicht nur individuell, sondern immer auch gesellschaftlich. Welche Geschichten schreibe ich mir selbst zu? Welche Zuschreibungen wirken von außen auf mich ein? Welche Narrative will ich sichtbar machen – und welche möchte ich unterlaufen? In dieser Verschränkung von Innen und Außen liegt die soziale Praxis des Selbstporträts: Es ist nicht nur eine Form der Selbstvergewisserung und Selbstermächtigung, sondern ein dialogischer Akt. Ich fotografiere mich – aber im Wissen darum, dass das Bild von anderen gesehen, gelesen, eingeordnet wird. Es wird Teil eines sozialen Diskurses. Und damit Teil dessen, wie wir als Gesellschaft über Körper, Zugehörigkeit, Emotion oder Widerstand sprechen. Wer darf sich wie zeigen? Wer kontrolliert die Mittel der Sichtbarkeit? Und wie können fotografische Prozesse so gestaltet werden, dass sie nicht vereinnahmen, sondern befähigen?


In vielen Arbeiten geschieht das im Austausch – zwischen Fotograf*in und Porträtierten, aber auch in der Reflexion der eigenen Rolle. Sichtbarkeit wird nicht „gegeben“, sondern gemeinsam erzeugt. Und im besten Fall wird sie geteilt – als Ressource, nicht als Trophäe.
Das Selbstporträt ist somit immer mehr als nur ein Bild. Es ist ein Raum. Ein Ort, an dem das Eigene zur Sprache kommt – aber nicht abgeschlossen, sondern offen für Resonanz. Es erzählt nicht nur von einer einzelnen Biografie, sondern berührt oft Erfahrungen, die viele teilen: Fremdzuschreibungen, Brüche, Widerstand, Sehnsucht. So wird das persönliche Bild zum kollektiven Spiegel.
Und vielleicht ist genau das die Kraft fotografischer Selbstbilder: Sie machen das Ich sichtbar – und gleichzeitig verhandelbar. Nicht als fertige Identität, sondern als Prozess. Als Praxis, die Beziehung sucht. Und die im besten Fall auch Raum schafft: für andere, sich darin wiederzufinden.




ICH SEHE MICH
unser Workshop über Selbstporträts, Biografiearbeit und die Kunst, sich selbst zu sehen. In diesem Kurs tauchst du tief in deine eigene Geschichte ein – durch Familienarchive, kreative Selbstporträts und soziologische Reflexion. Es geht nicht um perfekte Technik oder „richtige“ Bilder – sondern darum, deine Sicht auf die Welt künstlerisch auszudrücken. Fotografie als fürsorgliche Praxis. Und darum auch nun zwei Tage. Weil sich bis jetzt alle Teilnehmenden gewünscht hätten länger Zeit zu haben. Weil es Vertrauen und Raum, um einen Prozess in Gang zu bringen– und manchmal auch eine Nacht zum Sackenlassen. Zwei Tage bedeuten: ein echtes Ankommen, ein eigenes Zine, vielleicht sogar ein neues Bild von dir selbst.
Dieser Kurs ist kein Ort für Leistung. Sondern ein Raum für Empowerment, Tiefe und Verbindung.
Du bekommst kein Zertifikat – aber dafür das, was wirklich zählt: Ein neuer Blick auf dich selbst. Und deine künstlerische Stimme.
Du bist Künstler*in, Beobachter*in, Erzähler*in deiner Geschichte.




Was dich erwartet:
– Arbeit mit Familienarchiv & Biografie
– Einführung in Selbstporträtfotografie
– Soziologische Impulse zu Sichtbarkeit & Struktur
– Kreatives Storytelling
– Biografische Interviews im Tandem
– Konzepterstellung
– Reflexion, Inspiration & Community
– Anleitungund Erstellung eines Zines
Melde dich jetzt an und nimm dir zwei Tage für dich, deine Geschichte und deine künstlerische Stimme.
Gestalte dein eigenes Selbstporträt-Zine – ehrlich, fürsorglich, transformierend.
„ICH SEHE MICH“ ist dein Raum für kreative Biografiearbeit, Selbstporträts als kollektive Praxis – und für das Eigene im Dialog mit der Welt.